von Les Fehmi, Ph.D.
Originaltitel: Reducing Stress By Opening Your Attention
veröffentlicht in: Thrive Global, 15. Dezember 2016
übersetzt und angepasst von Alexander Lustig, 24. April 2017
0. Drei aus neurowissenschaftlicher Forschung gewonnene Fakten
Zwei Bücher, “The Open-Focus Brain” (ISBN: 9781590303764) und “Dissolving Pain” (ISBN: 9781590307809), beschreiben die Open Focus-Methode eingehend.
Eine Anfangsübung finden Sie am Ende dieses Artikels.
1. Raum, Gehirn, Aufmerksamkeit und Bewusstsein
1.0. Raum und Gehirn
Unsere Körper sind Raum, in dem Teilchen existieren. Ein Kontinuum von Raum besteht: durch unsere Körper hindurch und zwischen den Teilchen innerhalb und außerhalb unserer Körper. Raum bedeutet das Nichtvorhandensein von Materie, der grundlegende Behälter von Materie, das “Lösungsmittel” unserer auf Objekte und Ziele ausgerichteten Erfahrung. –
Les Fehmi, Ph.D.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Erfahrung des (dreidimensionalen) Raums richten, der überall ist und alles durchdringt, ändern wir unser Verhalten grundlegend, das heißt die Art, wie wir aufmerksam sind.
Indem wir dem Raum in uns und außerhalb von uns Aufmerksamkeit schenken, tritt eine gravierende Änderung ein: unsere Aufmerksamkeit wird umfassender, diffuser. Es ist der Raum in den Objekten unserer Sinneswahrnehmungen, um sie herum und durch sie hindurch, gleichwie der Raum, den all diese Objekte einnehmen.
Eine umfassendere, diffusere Aufmerksamkeit durch das Bewusstsein von Raum verändert tatsächlich unser Gehirn. Wir beginnen mehr Gehirnwellen zu produzieren, dir verbunden sind mit entspannter Wachsamkeit, unangestrengter Aufmerksamkeit, Leichtigkeit und Flow-Erleben. Unsere Gehirnwellen bewegen sich in den mittleren Frequenzbereich (Alpha) und werden rhythmischer, um sich den phasensynchronen Ganzkopf-Alpha-Gehirnwellen anzunähern.
Während unser Gehirn höhere Amplituden von synchronem Ganzkopf-Alpha erzeugt, indem wir den Raum in einem diffuseren Aufmerksamkeitsmodus erfahren, verändern wir erstaunlicherweise unser ganzes Nervensystem und bringen Gleichgewicht in unseren übermäßig angeregten Sympathikus – mit einer zunehmend normalisierenden Aktivierung des Parasympathikus.
Somit verändern sich unsere Gehirnwellen, unser zentrales Nervensystem kommt ins Gleichgewicht, wie auch alle peripheren System, etwa das muskuläre, kardiovaskuläre und endokrine System. Unser Erleben von uns selbst and unserer Umwelt verändert sich. All dies erreichen wir durch einfaches Aufrufen von Aufmerksamkeit für den Raum – in und um uns, einschließlich des Raums, mit dem alles gefüllt ist. Für die meisten von uns ist das eine gänzlich neue Erfahrung.
1.1. Aufmerksamsein fürs Aufmerksamsein
Nichts vermag den Unterschied zwischen Menschen und Tieren besser festzulegen als die Tatsache, dass Menschen dafür aufmerksam sein können, wie sie aufmerksam sind. Die einfachsten Wesen der Tierwelt, wie die Einzeller, haben die primitivste Form der Aufmerksamkeit, nämlich die für das Vorhandensein von Nahrung.
Je komplexer das Tier, desto höherentwickelt ist die Hirnrinde. Durch die vielfältige Struktur der Hirnrinde entwickeln wir Menschen die Fähigkeit, uns bewusst zu sein, dass wir uns bewusst sind. Durch die Evolution der Großhirnrinde hat sich das menschliche Gehirn so hoch entwickelt, dass wir uns unserer Aufmerksamkeit bewusst sein können. Diese Möglichkeit erlaubt uns, den Modus unserer Aufmerksamkeit zu erkennen, insbesondere diesen flexibel an die Erfordernisse der jeweiligen Situation anzupassen, in der wir uns befinden.
1.2. Wie wir mit Open Focus beginnen
Wir beginnen mit der Aufmerksamkeit für den Raum. Diese öffnet uns einen Zugang in eine andere Dimension. Konkrekt werden wir Ihnen sagen, bestimmten kleineren räumlichen Ausdehnungen Aufmerksamkeit zu schenken, und fragen, ob Sie diese spüren können. Obwohl Raum mit allen Sinnen wahrgenommen wird, werden wir anfangs das “Fühlen” oder “Spüren”1Anmerkung Alexander Lustig: Das Wort “Spüren” gebrauche ich im Sinne von instinktivem oder intuitivem Fühlen, “Fühlen” als Ausdruck für Taktile Wahrnehmung und Propriozeption. in den Vordergrund stellen, und zwar des Raums innerhalb unserer Daumen und Zeigefinger, um sie herum und zwischen ihnen, wie auch des Raums, den die beiden Finger einnehmen.
Warum sind es die Daumen und Zeigefinger, könnten Sie fragen? – Wir haben mehr Neuronen im primären somatosensorischen Cortex, dem Teil der Großhirnrinde, durch den das Fühlen und die Bewegung “orchestriert” wird, als wir Neuronen in unserem ganzen Rücken haben. Wenn wir Sie zu ermutigen beabsichtigen, den Raum zu spüren, wo starten wir besser als beim Raum in den Körperteilen, die unser Gehirn mit großer Leichtigkeit und Feinheit zu fühlen imstande ist, also den Daumen und Zeigefingern?
So fangen wir mit einer grundlegenden Übung an, in der wir Sie fragen, ob Sie sich den Raum vorstellen können, der innerhalb dieser Finger, um sie herum und durch sie hindurch ist, sowie den Raum, den sie einnehmen. Und wir fragen Sie, ob es möglich sei, all dies mit minimalem Aufwand geschehen zu lassen. Durch unser Fragen, sich den Raum vorzustellen, sprechen wir eine Leichtigkeit an, die in der Vorstellung möglich ist. Verstehen Sie also das Sich-Vorstellen als Weg, aufmerksam zu sein, wenn wir das Gefragte in unserer Vorstellung geschehen lassen. Durch ein Schließen der Augen erleichtern Sie sich das Fühlen bzw. Spüren und begünstigen das Aufkommen von Alpha-Wellen.
1.2.0. Anfangsübung
Sie können diese Übung – wie alle weiteren – lesenderweise durchführen. Oder Sie können sie laut vorlesen, aufnehmen und mit der Sprachaufnahme üben, indem Sie diese über Kopfhörer anhören. Wichtig ist, zwischen den Fragen etwa 15 Sekunden verstreichen zu lassen, in denen Sie bei der jeweiligen Frage verweilen. Mit geschlossenen oder halbgeschlossenen Augen zu üben ist vorteilhaft, insbesondere am Beginn. Wenn Sie sich für eine von mir aufgenommene Version der Übung interessieren, geben Sie mir bitte über das Anfrageformular Bescheid. Ich schicke sie Ihnen dann im gewünschten Audioformat zu. In allen Übungstexten und Aufnahmen verwende ich die Du-Form. Der erste Teil der folgenden Übung (in hellerer Schrift) ist ergänzt, entstammt also nicht dem Originaltext (Anm. Alexander Lustig).
Du kannst Deine Augen ganz oder teilweise schließen – mit dem Blick nach vorn oder leicht nach unten.
Kannst Du Dir vorstellen zu akzeptieren, was auf die folgenden Fragen hin in Dein Bewusstsein kommt?
Kannst Du Dir vorstellen, Dein Bemühen um das Gefragte sein zu lassen?
Kannst Du Dir vorstellen, zur jeweiligen Frage auf neutrale Weise zurückzukommen, wenn Deine Aufmerksamkeit abgleitet?
Kannst Du Deinen Unterkiefer sanft hängen lassen?
Kannst Du Dir vorstellen, Deine Schultern fallen zu lassen – und den Kopf dabei nach oben loszulassen?
Kannst Du Deine Sitzknochen fühlen und Dir vorstellen, Deinen Oberkörper darauf balancieren zu lassen?
Kannst Du fühlen, wo Du Kontakt mit Boden und Sitz hast?
Kannst Du Dir vorstellen, all Dein Gewicht in den Boden und die Sitzfläche abzugeben? – Das Gewicht Deiner Schenkel, Deiner Füße.
Kannst Du Dir vorstellen, gleichzeitig für alle Sinne aufmerksam zu sein, das Hören, Riechen, Schmecken, Sehen, Tasten? – Und auch für die Sinne für Temperatur, Schmerz, Gleichgewicht, Bewegung und Lage?
Kannst Du Dir vorstellen, im Folgenden das Fühlen in den Vordergrund Deiner Aufmerksamkeit zu stellen, insbesondere das Spüren von Raum innerhalb und außerhalb Deines Körpers?
Kannst Du Dir vorstellen, die Weite zwischen Deinen Kiefergelenken und Deinem Kinn zu spüren?
Kannst Du Dir vorstellen, die Weite in Deinem Gesicht zu spüren, um Deine Lippen, Nase, Wangen und Augen herum?
Kannst Du Dir vorstellen, die dreidimensionale Ausdehnung Deiner beiden Daumen zu fühlen?
Kannst Du Dir vorstellen, den Raum um Deine Daumen herum zu spüren?
Kannst Du Dir den Raum vorstellen, durch den Deine Daumen gefüllt sind?
Kannst Du Dir vorstellen, dass sich die Konturen Deiner Daumen auflösen?
Während Du weiterhin den Raum innerhalb und außerhalb Deiner Daumen spürst, kannst Du Dir jetzt vorstellen, die dreidimensionale Ausdehnung Deiner Zeigefinger zu fühlen?
Kannst Du Dir vorstellen, den Raum um Deine Zeigefinger herum zu spüren?
Kannst Du Dir den Raum vorstellen, durch den Deine Zeigefinger gefüllt sind?
Kannst Du Dir vorstellen, dass sich die Konturen Deiner Zeigefinger auflösen?
Während Du weiterhin spürst, dass Deine beiden Daumen und Zeigefinger von Leere umgeben, durchdrungen und gefüllt sind, kannst Du Dir jetzt vorstellen, den Raum zwischen Deinen Daumen und Zeigefingern zu spüren?
Ist es Dir möglich, den Raum zwischen Daumen und Zeigefingern noch feiner zu spüren?
Kannst Du nun wiederholt Daumen und Zeigefinger aufeinander zu und voneinander weg bewegen, bis Du Dir vorstellen kannst, den Raum zu spüren, durch den die Finger sich bewegen?
Während Du die Bewegung der Finger durch den Raum verlangsamst, kannst Du Dir vorstellen, weiterhin den Raum zu spüren, durch den sie sich bewegen?
Ist es Dir möglich, diesen Raum sogar nach weiterer Verlangsamung der Bewegung zu spüren – bis Du aufhörst, Deine Finger zu bewegen?
Nachdem Sie Ihre Augen geöffnet haben, nehmen Sie Notiz davon, wie Sie sich fühlen! Fühlen Sie sich leichter, heller, klarer, entspannter? Oder war es anstrengend für Sie? Wie ist es, Raum zu spüren im Gegensatz dazu, Raum zu denken, sehen oder hören? Wie auch immer Ihre Reaktion sein mag, dies ist der erste Schritt, einen Sinn für das Spüren des Vorhandenseins von Raum zu erlernen.
Mit der Zeit werden Sie lernen, größeren Räumen Aufmerksamkeit zu schenken, zuerst in Ihrem Körper, dann durch ihn hindurch und um ihn herum – und schließlich den Raum durch und um Sie und die Objekte in Ihrer Umgebung. Allmählich werden Sie Raum, Leere, Nichts, Stille, …2Welche anderen Begriffe für Raum fallen Ihnen ein? mit allen Sinnen wahrnehmen können. Indem Sie diesen tiefgreifenden Wechsel in Ihrer Aufmerksamkeit vollziehen, Raum in den Vordergrund Ihrer Erfahrung stellen, verändern Sie die Wahrnehmung Ihrer selbst und des Universums um Sie herum.