Open Focus-Training für Stress-, Schmerz- und psychosomatische Erkrankungen – Teil 2

von Lester G. Fehmi, Ph.D., Edward T. Kenny, M.D., und Susan B. Shor, L.C.S.W.
Originaltitel: Open Focus Training for Stress, Pain, and Psychosomatic Illness
Kapitel veröffentlicht in Complementary and Integrative Treatments in Psychiatric Practice 2017, 25:293–302
übersetzt von Alexander Lustig, 31. Januar 2018

Nähere Ausführung der verschiedenen Aufmerksamkeitszustände

Hirnwellenfrequenzen werden von niedrig bis hoch eingestuft: Delta, Theta, Alpha, Beta und Gamma. Aufmerksamkeitsmodi werden unterteilt in eng, diffus, zielgerichtet und versunken. Diese Modi (auch „Stile“) entsprechen bestimmten Bereichen von Hirnwellenfrequenzen, schaffen optimale Bedingungen für spezifische Aufgaben, stehen in Zusammenhang mit den Zuständen der Erregung des vegetativen Nervensystems und spielen eine Rolle in der Regulierung von Emotionen. Die Modi der Aufmerksamkeit treten tendenziell kombiniert auf (Tabelle 1 [wird in Teil 3 veröffentlicht]). Durch Übung kann man lernen, bewusst zwischen den Aufmerksamkeitsstilen zu wechseln.
Enge Aufmerksamkeit ist eine Konzentration auf ein sehr eingeschränktes Feld der Wahrnehmung; die Aufmerksamkeit mag auf einen Teil des Gesichtsfelds fokussiert sein, auf einen Aspekt des gesamten sensorischen Felds (Sehen, Hören, Tasten, Geruch und Geschmack) oder auf mentale Erfahrungen [Gedanken]. Diffuse Aufmerksamkeit tendiert dazu, panoramisch zu sein, anstatt ausschließend oder auf einen Punkt [Ziel] gerichtet: “Kein bestimmtes Ziel der Aufmerksamkeit ragt hervor, die Unterscheidungen zwischen Vorder- und Hintergrund sind verschwommen oder ausgeglichen.” (Fehmi und Robbins, 2007, S. 49). Zielgerichtete Aufmerksamkeit distanziert die beobachtende Person vom Objekt der Aufmerksamkeit und ermöglicht Beurteilung und Kontrolle. Anhaltend kann diese Aufmerksamkeit die Beobachterin von der Erfahrung entfremden. Versunkene Aufmerksamkeit tritt ein, wenn man in Verbindung tritt mit einem Objekt der Aufmerksamkeit oder einem Prozess, der tiefe Konzentration erfordert bis zum Zustand völliger Unbefangenheit.

Übergänge zwischen den Aufmerksamkeitsmodi

Die Open Focus-Praxis ermöglicht [bewusste] Übergänge zwischen den Aufmerksamkeitszuständen, so dass der oder die Einzelne nicht in einem einzigen Zustand verharrt als schädlicher Gewohnheit, d.h. extremer Neigung zu einer einzelnen Aufmerksamkeit. Open Focus erlaubt eine bewusste Kontrolle über das Verbinden von Aufmerksamkeitsstilen, wie etwa den Gebrauch des engen Fokus während des gleichzeitigen Zulassens eines Bewusstseins von Raum [engl. space] und anderen Sinneserfahrungen, also eine gleichmäßiger verteilte Aufmerksamkeit erlaubend und hierbei Stress zerstreuend. Der Schlüssel zum Übergang zwischen verschiedenen Aufmerksamkeitsmodi ist die bewusste Aufmerksamkeit für Raum. Man kann die Aufmerksamkeit weiten und Raum und alle in ihm wahrnehmbaren Objekte mitaufzunehmen. Dies kann mit allen Sinnesmodalitäten erfolgen. Auch kann man Raum vom Bewusstsein ausschließen und die Aufmerksamkeit auf ein oder einige Objekte einengen. Man kann die Aufmerksamkeit in Raum und Objekte versinken lassen. Umgekehrt kann man Distanz von Raum und Objekten erzeugen. Im Open Focus ist es möglich, für die Aspekte all dieser Aufmerksamkeitsmodi gleichzeitig und gleichermaßen aufmerksam zu sein.

Die Arousal-Level

Eine Person, deren Arousal chronisch niedrig ist, kann sich ermüdet, lethargisch und deprimiert fühlen. Ist umgekehrt der Arousal-Level chronisch erhöht, kann sich die Person hypervigilant, gestresst, ängstlich oder zornig fühlen. Arousal-Level im mittleren Bereich, verbunden mit Alpha-Synchronität, sind zumeist optimal für eine Reihe von Aufgaben. Bewusste Kontrolle von Arousal durch gezielte Veränderung des Bewusstseins von Raum kann kurzzeitige Verschiebungen zu verschiedenen Arousal-Level ermöglichen, wann dies notwendig ist. Die Open Focus-Integration von Sinnesinformation im Zusammenspiel mit dem Raumbewusstein fördert das Bewusstsein unserer Aufmerksamkeit und befähigt uns, sich in einem gegebenen Kontext für den angemessenen Aufmerksamkeitsstil zu entscheiden.